Kameralistik
Die Kameralistik, auch als Kameralbuchhaltung bezeichnet, stellt ein Buchhaltungsverfahren dar, das man in der öffentlichen und kirchlichen Verwaltung nutzt. Zahlungsströme als Nachweisgrößen stehen bei diesem Prinzip im Mittelpunkt, um vor allem die Ausführung des Haushaltsplanes hinsichtlich der Deckung der Ausgaben nachzuweisen.
Was bedeutet der Begriff Kameralistik?
Der Begriff der Kameralistik ist vom Kameralismus, der öffentlichen Verwaltung und ihr angeschlossener Unternehmen abgeleitet. Kameralisten waren einst hohe Beamte im Kammerkollegium deutscher Fürsten.
Eine zweite Bedeutungsebene ergibt sich aus der Kameralwissenschaft als Wissenschaft der staatlichen Verwaltung. Dazu zählen die Teilbereiche Rechnungsführung, Finanz-, Wirtschafts-, Verwaltungslehre, Rechts- und Polizeiwissenschaft sowie die Volkswirtschaftspolitik.
Daraus ergibt sich schließlich der engere Bedeutungssinn der Kameralistik als Teilbereich der Kameralwissenschaft im Sinne der Buchführung von Kameralisten. In diesem Kontext findet eine mehrdeutige Anwendung des Begriffs statt:
- Kameralistik bezeichnet eine rein formale Buchführungsmethode, die sich durch EÜR und eine periodengerechte Zuordnung auszeichnet, wobei vier Spalten Einnahmen und Auszahlungen sowie Forderungen und Verbindlichkeiten abbilden.
- Auf materieller Ebene umfasst der Begriff den Inhalt des Haushalts- und Rechnungssystems in Form der Gegenüberstellung der für die Aufgabenerfüllung einzusetzenden Ausgaben mit den dafür erforderlichen Einnahmen.
- Aus planerischer Sicht versteht man unter dem Begriff das Wirtschaften der öffentlichen Hand anhand der Vorgaben von Haushaltplänen, was den Freiheiten privater Unternehmen entgegensteht.
Der kameralistische Haushaltsplan
Der Haushaltsplan stellt die zentrale Grundlage der Kameralistik dar. Hier werden Einnahmen und Ausgaben einer Periode gegenübergestellt. Andere Wertveränderungen werden hingegen nicht abgebildet. Dabei lassen sich in Deutschland der Verwaltungshaushalt und Vermögenshaushalt differenzieren:
- Im Verwaltungshaushalt verbucht man laufende Ein- und Auszahlungen, die das Vermögen nicht betreffen, Dazu zählen z. B. Steuern und Gebühren, Personalkosten und Finanzausgleiche.
- Im Vermögenshaushalt verbucht man Ein- und Auszahlungen, die das Vermögen betreffen – Kredite, Anlagegüter, Grundstückserwerb oder -verkauf. Auf kommunaler Ebene werden hier einzelne Investitionen und der für die Realisierung selbiger nötige Input veranschlagt.
Der Haushaltsplan ordnet Einzelbeiträge wiederum nach Verwaltungseinheiten in den Gliederungsplan oder nach Zwecken in den Gruppierungsplan ein. Daraus resultieren Haushaltsstellen, die voneinander abgegrenzt und einzeln veranschlagt sind. Verschiebungen sind dabei nur in Ausnahmefällen möglich, wobei die Regeln z. B. durch Sammelnachweise, Deckungsvermerke oder Übertragbarkeitsvermerke unterbrochen werden können.
Insgesamt müssen am Ende Ausgaben und Einnahmen in gleicher Höhe entstehen. Das bezeichnet man als Gesamtdeckungsprinzip. Dabei ist ein Ausgleich zwischen dem Verwaltungs- und Vermögenshaushalt möglich, um eine Angleichung zu erzielen. Die zahlreichen Anlagen des Haushaltsplans wirken sich jedoch dabei stets negativ auf die Transparenz und Übersichtlichkeit aus.
Entstehung der Kameralistik
Die Kameralistik ging als Ergebnis aus dem 30-jährigen Krieg (1618-1648) hervor, um die Wirtschaft des zerrütteten Landes durch staatliche Maßnahmen zu beeinflussen und den Wohlstand der Nation zu steigern. Ihren wissenschaftlichen Ursprung fand sie in der Theorie der Kameralwissenschaft, die seit 1727 universitär verankert ist. Seit den Siebzigerjahren führen neoliberale Verwaltungsreformen immer häufiger zu einem Verdrängen der Kameralistik zugunsten eines doppischen Haushaltssteuerungs- und Rechnungswesens auf kommunaler und staatlicher Ebene.
Aufgaben und Ziele der Kameralistik
Mit der kameralistischen Buchführung lassen sich Einnahmen und Ausgaben von Körperschaften systematisch erfassen und Veränderungen von Zahlungsmitteln ihrem Ursprung nach unterscheiden. Die Buchung erfolgt anschließend anhand von Rubriken, den sogenannten Haushaltstiteln. Die Aufzeichnungen erfüllen damit zunächst die Aufgaben der Dokumentation, eine Mess- und Steuerungsfunktion sowie die Möglichkeit für einen Abgleich von Ist-Daten mit der Finanzplanung.
In der Buchführungs- und Rechnungslegungsordnung für das Vermögen des Bundes (VBRO) sind als Ziele der Kameralistik festgelegt:
- Bestandnachweis von Vermögen und Schulden zu Beginn und am Ende des Rechnungsjahres sowie Nachweis der Veränderungen während des Jahres
- Darlegung der Einnahmen und Ausgaben sowie deren Beitrag zu Vermögen oder Schulden
- Gegenüberstellung von Überschuss / Fehlbetrag zu Minderung / Mehrung von Vermögen / Schulden
Prinzip der Kameralistik
Zahlungsströme lösen Verbuchungen durch wirksame Einnahmen und Ausgaben aus. Dabei erfolgt kein Ausweis von Inventar und auch keine Bilanzierung von Vermögen und Schulden. Dem zugrunde liegt stets das Kassenwirksamkeitsprinzip, wonach ein Zahlungsstrom ausschlaggebende Voraussetzung für eine Buchung darstellt. Damit ähnelt die Kameralistik in einigen Punkten der EÜR.
Auf kommunaler Ebene erfolgt seit 1975 allerdings eine zweiseitige Buchung über Konto und Gegenkonto, was als erweiterte Kameralistik bezeichnet wird. Das Ist erfasst Ein- und Auszahlungen, deren Differenz das Liquiditätssaldo bildet. Im Soll ordnet man Einnahme oder Ausgabe dem entsprechenden Konto zu. Im Mittelpunkt steht hier die stetige Aufgabenerfüllung, d. h. die Verhinderung der Insolvenz durch eine klar definierte Schuldenbremse.
Pro Kameralistik
Die Kameralistik hat vor allem auf volkswirtschaftlicher Ebene Vorteile gegenüber der Doppik, steht jedoch auch immer wieder durch ihre Nachteile hinsichtlich Transparenz und Genauigkeit in der Kritik.
Kompatibilität zur Finanzwissenschaft
Da die Volkswirtschaftslehre im Rahmen ihres Kreislaufmodells in Zahlungsströmen denkt, ist die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung mit der Kameralistik kompatibel. Im Gegensatz zur kaufmännischen Buchführung lassen sich über den Gruppierungsplan (Gruppierung von Einnahmen und Ausgaben des Haushaltsplans nach Arten) Investitions- und Konsumausgaben und die begünstigten gesellschaftlichen Gruppen einfach übermitteln.
Der Haushaltsquerschnitt ermöglicht hingegen eine Zusammenstellung von Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen geordnet nach Aufgabenbereichen und -arten. Beide lassen sich über eine Kostenarten- und Leistungsartenrechnung beziehungsweise eine Kostenstellenrechnung bzw. Kostenträgerzeitrechnung vergleichen.
Ermittlung der staatlichen Schuldengrenze
Im Gegensatz zur Privatwirtschaft, wo ein Überschreiten der Schulden gegenüber dem Vermögen unweigerlich zur Insolvenz führt, gilt für die Staatsverschuldung eine andere Rechnung. So dürfen die Einnahmen aus Krediten 0,35 % des nominalen BIP nicht überschreiten – es sei denn das gesamtgesellschaftliche Gleichgewicht ist gestört. Da die Kameralistik hierzu notwendige Investitionsausgaben abbilden kann, eignet sie sich besser als die kaufmännische Buchführung zur Ermittlung der staatlichen Schuldengrenze.
Geringe Manipulierbarkeit
Rückmietverkäufe, öffentlich-private Partnerschaften und andere Geschäftsvorgänge lassen sich so abwickeln, dass sie in der Buchhaltung nicht korrekt oder überhaupt nicht erscheinen. In der Kameralistik erfolgt die Darlegung von verwendeten Geldern und den Geldgebern nachvollziehbar und objektiv richtig. Aktivierungs- und Passivierungswahlrechte wirken sich nicht auf die Rechnungslegung aus, Erfolge lassen sich nicht durch Abschreibungen oder Rückstellungen beeinflussen. Damit bestehen weniger Möglichkeiten zur Manipulation.
Contra Kameralistik
Mangelnde Transparenz
Zweckgebundene Einnahmen und Ausgaben werden in der öffentlichen Verwaltung getrennt erfasst. Bearbeiter kennen dabei oft nicht die Herkunft von Geldern, da auch Investitionsausgaben getrennt von laufenden Ausgaben erfolgen. Diese Trennung führt dazu, dass es keinen Anreiz gibt, z. B. die laufenden Ausgaben durch Investitionen zu senken. Oft kommt es so am Ende des Jahres zu unnötigen Ausgaben, damit die Gelder im Folgejahr nicht verfallen. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff des Dezemberfiebers weit bekannt.
Wirtschaftlichkeit der Kameralistik
Die Bewertung staatlichen Vermögens gestaltet sich oftmals als schwierig, da es für viele Güter wie Straßen und Schienen oder Nationalparks keinen zugrundeliegenden Marktpreis gibt. Hier ließen sich Abschreibungen etc. durch die Doppik abbilden. Insgesamt würde ein doppisches Rechnungswesen allerdings auch keinen Sinn machen, da sich die Solvenz des Staates nicht aus dem Reinvermögen der Bilanz ablesen lässt.
Abgrenzung zur Doppik
Die Kameralistik basiert auf einer EÜR und der periodengerechten Zuordnung von Zahlungen, während die Doppik Zahlungen aus zweiseitigen Konten (den sogenannten T-Konten) bucht. Bei der Kameralistik entfällt die Abgrenzung von Ausgaben und Auszahlungen beziehungsweise Einnahmen und Einzahlungen und es erfolgt auch keine Bilanzierung von Vermögen und Schulden sowie keine Inventur. Die Betrachtung tatsächlicher Zahlungsströme, Einnahmen und Ausgaben erfolgt erst, wenn sie tatsächlich getätigt wurden. Während die Kameralistik titelorientiert ist, zeichnet sich die Doppik durch ihre Produktorientierung sowie die Inputsteuerung plus Outputsteuerung aus.
Insgesamt ergeben sich so durch die Doppik sowohl Vor- als auch Nachteile bei der Nutzung in der öffentlichen Verwaltung.
Vorteile & Nachteile der Doppik
Vorteile | Nachteile |
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Kritik und Reformbedarf der Kameralistik
In der Kritik steht die Kameralistik gleich aus mehreren Gründen. So lassen sich keine antizipativen Posten – im Haushaltsjahr laufende Aufwendungen oder Erträge, deren Zahlungsströme erst in Folgejahren erfolgen (z. B. Pensionsverpflichtungen) – abbilden.
Die Dokumentation von Vermögen und Schulden findet nur eingeschränkt statt und kann dadurch gesetzlich vorgegebene Aufgaben systembedingt nicht wahrnehmen. Die Vernachlässigung einiger Ereignisse führt möglicherweise zu Fehlsteuerungen, die den Haushalt über mehrere Jahre nachteilig beeinflussen.
Kritik gibt es auch am Kassenwirksamkeitsprinzip, der kleinteiligen Differenzierung nach Haushaltsstellen oder Konflikten zwischen aus Kommunen ausgelagerten Einheiten, die eine betriebswirtschaftliche Buchführung nutzen.
Aufgrund einiger Mankos diskutieren einige Bundesländer neben der Umsetzung einer sogenannten erweiterten Kameralistik die Einführung eines neuen Steuerungsmodells. Kritikpunkte sind beispielsweise immer wieder:
- strikte Trennung von Fach- und Ressourcenverantwortung,
- Steuerung über die zur Verfügung gestellten Ressourcen und damit einhergehend fehlende Ergebnisorientierung,
- keine vollständige Abbildung des Ressourcenaufkommens und -verbrauchs,
- unklare Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung,
- keine vollständige Übersicht über das Vermögen und die Schulden,
- keine vollständige Ermittlung produktbezogener Kosten.
Kritik gibt es nicht zuletzt auch aufgrund der fehlenden Möglichkeit, eingesparte Mittel in das folgende Haushaltsjahr zu übertragen und damit den Finanzbestand zu erhöhen. So führt ein nicht ausgeschöpfter Haushalt oft zu einer Kürzung der Mittel im Folgejahr.
Infolgedessen stellen viele Kommunen ihre Buchführung auf die Doppik um. Der Bund hingegen nutzt die erweiterte Kameralistik, die einige Eigenschaften der Doppik in die Kameralistik überträgt.
Fazit zur Kameralistik
Wenngleich die Kameralistik ein vergleichsweise einfaches System der Buchführung darstellt, so mangelt es ihr an Transparenz und bringt ohne gesonderte Regelungen immer wieder Nachteile mit sich, die zulasten der effektiven Mittelverwendung in der kommunalen Verwaltung gehen. Die Umstellung der Kommunen und Länder auf die Doppik lässt beispielsweise hoffen, dass der Länderfinanzausgleich gerechter erfolgt.